Dienstag, 29. April 2014

HIGH HOPES

(Bruce Springsteen)

Tach auch. Erinnert ihr euch eigentlich noch an eure Schulzeit? Genauer gesagt den Geschichtsunterricht? Als es damals um die Industrialisierung, die Arbeiterbewegung, Weimarer Republik und alles was danach kam ging? Ja? Dann ist ja gut! Dann könnt ihr euch vielleicht auch an das erinnern, was mir zu meiner Pennälerzeit des Öfteren kredenzt wurde wenn es um das Erringen möglichst ästhetischer Noten ging: Die Quellenanalyse!

Ich fand das eigentlich ganz cool, da bekam man irgend einen Zeitungsausschnitt oder ein Bild und sollte dann mal ein wenig einordnen, erklären, interpretieren oder – was jetzt der worst-case war aber auch funktionierte mitunter – bei kompletter Ahnungslosigkeit möglichst glaubwürdig über etwas schwadronieren, wovon man im Grunde genommen keinerlei Ahnung hatte. Aber Quellen waren gut, denn sie lieferten selbst in letzterem Fall wenigstens noch Informationen, die eine offene Frage nicht lieferte. Geradezu großartig fand ich es, alte Wahlplakate zu analysieren. Die waren damals zwar nicht so politisch korrekt wie heute, aber sie hatten irgendwie noch… wie nennt man das gleich nochmal, was heute total out ist… ach ja: Inhalt! Mitunter waren es Karikaturen oder mit spitzer Feder formulierte Verunglimpfungen des politischen Gegners, ja, zum Teil war man derart verrückt, daß man auf so ein Wahlplakat einfach mal drauf schrieb, was man politisch eigentlich will! So irre waren die damals, stellt euch das mal vor!

Heute vollkommen undenkbar!

Da ja nun Europawahlen anstehen wird das Land gerade wieder mit Plakaten überzogen. Design geht über Inhalt, Person über Aussage – so kann man es wohl auf den Punkt bringen. Ging es früher den Parteien noch darum, daß man dem Wahlvolke mitzuteilen gedachte, was man denn will, versuchen die Spin Doctors und Cunsulting-Unternehmen im Hintergrund heute vor allem eine derart rund geschmirgelte Kampagne zusammen zu schustern, daß man gar nicht erst in die Gefahr kommt sich in irgend einer Weise festlegen zu müssen. Andererseits wird, politisch korrekt, auch keinem weh getan mit den aufgedruckten Botschaften. Wir sind alle potentielle Wähler und sollen es auch bleiben – tatsächliche Wähler, Wähler, die man mit Inhalten überzeugt hat, sind scheinbar uninteressant. Man kann es auf die Formel bringen: “Lieber keinen Wähler verschrecken als einen zu überzeugen!”

Ich habe mal ein paar dieser Allgemeinplätzchen quer durch die Plakatwelt hindurch zusammen gestellt. Seht selbst, was uns die Parteien so an inhaltlichen Schwerpunkten und jeweiligen politischen Alleinstellungsmerkmalen mitzuteilen haben:

“Damit Europa mehr Arbeit und Wachstum schafft”

“Ein Europa des Wachtsums, nicht des Stillstandes”

Na, wer will hier was? Muß man doch erkennen! Während der erste Slogan doch nur so vorm CDU-Konservativismus trieft, ist im zweiten doch glasklar die viel zitierte, programmatische “sozialdemokratische Handschrift” zu erkennen! Oder war es doch anders herum?!?

Man könnte jetzt seitens der Union natürlich auch verkünden, daß man “Für einen stabilen Euro durch wirtschaftliche und soziale Stabilität in allen Mitgliedsländern” kämpfe. Oder seitens der SPD hielte ich auch “Wir setzen uns für die Zukunft junger Akademiker in ganz Europa ein und wollen auch in Spanien die Arbeitslosigkeit durch gezielte EU-Programme bekämpfen!” (Jaja, ich weiß, daß “gezielte EU-Programme” ein Oxymoron ist, aber man kann ja mal Visionen haben) für ein legitimes Plakat.

Die Linken wiederum, die ziehen gleich mit dem Holzhammer

“Wer Europa will, muß es den Reichen nehmen”

in den Wahlkampf. Joa, kann man sagen, muß man jetzt aber nicht. Wer definiert denn, wer “die Reichen” sind? Die Linken etwa??? Na dann gute Nacht! Außerdem: Was soll einem denn dieser hohle, Inhaltsleere Spruch schon hinsichtlich der Ziele der Linken sagen? Daß sie einen vollkommen illusorischen, ja undemokratischen Ansatz der Entrechtung und Enteignung von Minderheiten verfolgen? Kann man ja so verstehen den Spruch. Das dürfte, so hoffe ich zumindest, nicht das sein, was die wollen, aber dann sollen sie es verdammte Scheiße nochmal auch sagen!!! Was ist denn so schwer an:

“Wir kämpfen für höhere Spitzensteuersätze in der EU, damit Sozialleistungen gut refinanziert werden können!”

Ja, das wäre doch mal programmatisch und – im Grunde genommen eigentlich ohnehin ein klassisch-sozialdemokratisches Argument – auch mit ein wenig Inhalt gefüllt. Das andere Großplakat sagt schon fast warnend:

“Passt auf – Die Linke!”

Ja, das wiederum kann man guten Gewissens so stehen lassen!

Die Grünen, nunja, es ist bei weitem nicht ihre beste Kampagne, aber wenn man auf Subjekt+Prädikat+Objekt nicht allzu viel Wert legt und ein wenig Hintergrundwissen hat (also sprich ein Mal im Monat Tagesschau guckt), dann weiß man wenigstens, was sie wollen:

“Klimaschutz ohne Grenzen”

“Atom aus, Natur an”

“GENug”

das Beste Plakat, weil multifunktional formuliert: “Für ein Europa, in dem niemand untergeht!”

Die Kampagne der Grünen ist, im Übrigen schließt das deren TV-Spot mit ein, derzeit das einsame inhaltliche Highlight in diesem Europawahlkampf. Diese gequirlte Moppelkotze, diese breiigen und inhaltsleer daher geschwurbelten Allgemeinplätzchen der anderen Parteien sind doch eine Zumutung!

Klar, man könnte jetzt natürlich das Wahlprogramm dieser ganzen Pfeifen lesen, aber warum? Warum sollte ich ein Wahlprogramm einer Partei lesen, die mich mit ihrer Kampagne nicht einmal im Ansatz neugierig gemacht oder thematisch angefixt hat? Mir fällt kein Grund dafür ein. Informieren ja, aber ich töte nicht noch mehr meiner Lebenszeit – geschweige denn noch mehr Hirnzellen - damit mir solche aufgeblasenen Worthülsen wie “Europa neu denken" rein zu ziehen. Solche Phrasen sind so hohl, die kann einem kein Parteiprogramm vernünftig mit Fakten unterfüttern.

Nunja, wir werden sehen, wo das alles bis zum 25. Mai noch hin führt. Ich bin mittlerweile selber gespannt, wo ich mein Kreuzchen machen werde – eine Situation, in der ich mich seit 1998 nicht mehr befand. Zur Feier des Tages habe ich auch mein Plakat zu letzten OB-Wahl wieder heraus gekramt und – ich finde es ist immer noch höchst aktuell was die Message angeht – zu Ehren der Europawahl ein wenig gepimpt:

Plakat Europa

PS: Hier dann doch noch was zum Schmunzeln. Ratet mal, welches Randgruppenkonglomerat mittlerweile (Gott sei Dank) bundespolitisch Bedeutungsloser doch tatsächlich mit folgendem Slogan in die Europawahl zieht:

Gute Argumente statt großer Versprechen

… Brüller, oder?!!!! 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen